Private Altersvorsorge im Umbruch: Das neue Altersvorsorgedepot im Faktencheck

Die private Altersvorsorge in Deutschland steht vor einem tiefgreifenden Umbau. Mit dem Referentenentwurf zur Reform der geförderten Altersvorsorge will die Politik die Weichen neu stellen – weg von komplizierten, oft als „teuer“ wahrgenommenen Riester-Produkten hin zu einer einfacheren, renditeorientierten und verständlicheren Förderung. Im Kern geht es um folgende Ziele: mehr Rendite, weniger Kosten und Bürokratie und stärkere Förderung kleiner und mittlerer Einkommen. Herzstück ist dabei das neue Altersvorsorgedepot, ergänzt um modernisierte Garantieprodukte und einen gänzlich neu gedachten Zulagenmechanismus.

Neue Produktwelt: Depot oder Garantie – aber klar getrennt

Künftig werden zwei Produktlinien gefördert:

  1. Renditeorientiertes Altersvorsorgedepot ohne Garantie
    Hier wird in Fonds, ETFs, ELTIFs usw. investiert – voll am Kapitalmarkt, ohne verpflichtende Bruttobeitragsgarantie.
  2. Garantieprodukte mit Bruttobeitragserhalt
    Parallel soll es weiterhin sicherheitsorientierte Lösungen geben: Produkte mit garantiertem Kapital zu Beginn der Auszahlungsphase – wahlweise mit

    • 100 % Beitragsgarantie oder
    • 80 % Beitragsgarantie.

Das Standardprodukt

Besonders wichtig: Alle Anbieter (mit Ausnahme reiner Anbieter, die auf die Eigenheimrenten-Förderung wie z.B. Bausparkassen) müssen künftig ein Standardprodukt anbieten – das sogenannte Standarddepot.

  • Es ist als einfacher Sparplan mit wenigen, klaren Wahlmöglichkeiten konzipiert.
  • Beim Standarddepot können lediglich zwei Investmentvermögen (Fonds) bespart werden, die der Anbieter vorvertraglich festlegt.
  • Die Effektivkosten über die Laufzeit sind auf 1,5 % pro Jahr gedeckelt. Diese Größenordnung wird heute schon vielen fondsgebundenen Produkten unterboten. Für Produkte ohne Garantien zeigt sich eine Effektivkostenquote für den Versicherungsmantel von unter einem Prozent. Bespart man gleichzeitig kostengünstige ETFs, sollten 1,5 Prozent keine große Hürde darstellen.

Damit soll ein transparentes, kostengünstiges Basisangebot entstehen. Das Standarddepot ist so konzipiert, dass es sich grundsätzlich auch für einen Abschluss ohne persönliche Beratung eignet – konsequenterweise muss es daher möglich sein, den Vertrag vollständig online abzuschließen.

Fokus auf Altersvorsorge – weniger „Versicherung“

Ein weiterer großer Schritt: Die Produkte werden konsequent auf die Altersvorsorge fokussiert. Das bedeutet:

  • keine Absicherung mehr gegen verminderte Erwerbsfähigkeit, Dienstunfähigkeit bzw. der Hinterbliebenen
  • Die Hinterbliebenenabsicherung wird auf eine optionale Rentengarantiezeit beschränkt.
  • Die Pflicht, die Eigenheimrenten-Förderung (Wohn-Riester) im Produkt anzubieten, entfällt.
  • Stärkere Trennung der Anspar- und Auszahlungsphase durch Wechselmöglichkeit vor der Auszahlungsphase

Ansparphase, Wechsel und Kosten: Mehr Freiheit, weniger Hürden

In der Ansparphase wird die Flexibilität erhöht:

  • Ab dem 6. Vertragsjahr ist ein Anbieterwechsel ohne Wechselkosten durch den alten Anbieter möglich.
  • Die bisher zulässigen Wechselkosten (bis 150 €) sind auf die ersten fünf Jahre beschränkt.
  • Binnenwechsel beim gleichen Anbieter (z. B. in ein anderes Produkt) dürfen generell nicht mit Wechselkosten belegt werden.
  • Abschlusskosten sollen auf die gesamte Laufzeit verteilt werden

Für Sparer:innen bedeutet das: Wer unzufrieden ist oder von neuen Produkten profitieren will, kann nach einigen Jahren deutlich leichter umsteigen – ohne durch Gebühren Verluste hinnehmen zu müssen.

Auszahlungsphase: Rente oder Auszahlungsplan – nicht beides gleichzeitig

Auch in der Leistungsphase wird aufgeräumt:

  • Die Altersgrenze wird einheitlich auf 65 Jahre angehoben.
  • Es gibt zwei Optionen:
    1. Lebenslange Leibrente
    2. Auszahlungsplan (z. B. bis mind. 85 Jahre) ohne Pflicht zur Teilverrentung
  • Am Ende eines Auszahlungsplans wird ein eventuelles Restkapital komplett ausgezahlt.
  • Zusätzlich wird ein reines Auszahlungsprodukt eingeführt, damit zu Beginn der Auszahlungsphase ein Wechsel aus dem Ansparprodukt heraus leichter möglich ist.

Gerade im Vergleich zur bisherigen Riester-Welt – mit häufig als unflexibel erlebter Verrentungspflicht – ist das ein großer Schritt Richtung Planbarkeit und Wahlfreiheit. Eine Teilkapitalauszahlung in Höhe von 30 Prozent soll weiterhin möglich sein.

Staatliche Förderung: Einfacher, proportional, leistungsorientiert, familienfreundlich

Die Zulagenförderung wird grundlegend neu strukturiert – aber der Grundsatz bleibt:
Steuerliche Entlastung in der Ansparphase, Besteuerung in der Auszahlungsphase (nachgelagerte Besteuerung).
Das ändert sich:

  • Die komplizierte 4-%-Regel (4 % vom Vorjahresbrutto für die volle Zulage) entfällt.
  • Künftig genügt ein fester Mindesteigenbeitrag von 120 € pro Jahr, um überhaupt Zulagen zu erhalten.
Neue Grundzulage – „Cent je Euro“

Die Grundzulage wird beitragsproportional:

  • Für die ersten 1.200 € Eigenbeitrag pro Jahr gibt es
    → 30 Cent Zulage je 1 € Eigenbeitrag
  • Für den Anteil von 1.201–1.800 €
    → 20 Cent je 1 € Eigenbeitrag

Maximal ergibt das bei 1.800 € Eigenbeitrag eine Grundzulage von 480 € im Jahr.
Vor allem Sparer:innen mit Beiträgen bis 100 € monatlich profitieren, da hier die Förderquote besonders hoch ist.

Kinderzulage – einfacher und fairer

Die Kinderzulage wird ebenfalls beitragsproportional:

  • 25 Cent pro Euro Eigenbeitrag und Kind,
  • bis maximal 1.200 € Eigenbeitrag pro Jahr → 300 € Kinderzulage je Kind.

Wichtig: Die frühere Unterscheidung nach Geburtsjahr (185 €/300 €) entfällt. Die Förderung hängt künftig nicht mehr vom Geburtsjahr, sondern vom tatsächlichen Beitrag ab.

Bonus für Berufseinsteiger:innen

Junge Sparer:innen werden mit einem einmaligen Berufseinsteigerbonus von 200 € unterstützt – zusätzlich zur Grundzulage. Voraussetzung: rechtzeitiger Einstieg (< 25. Lebensjahr) und eigener Beitrag (mind. 120 € pro Jahr).

Riester vs. AV-Depot: für wen besser geeignet?

Doch ist die neue Fördersystematik auch besser. Die Antwort ist: es kommt drauf an. Dies verdeutlichen die folgenden Beispiele:

Musterfall 1: 1.200 € Eigenbeitrag, verheiratet, keine Kinder, Bruttoeinkommen: 34.000 € p.a.
In dieser Konstellation fällt die Zulage im Altersvorsorge-Depot mit 360 Euro deutlich höher aus als bei der Riester-Rente mit 175 Euro. Bei Riester wirkt der Fördervorteil vor allem über die zusätzliche Steuerersparnis, die hier spürbar höher ausfällt. In der Gesamtbetrachtung gleichen sich beide Modelle nahezu an, die Förderquote liegt jeweils bei rund 26 Prozent. Riester kann hier mithalten, das AV-Depot ist hier keine klare Verbesserung.

Riester AV-Depot
Eigenbeitrag 1.200 € 1.200 €
Grundzulage 175 € 360 €
Kinderzulage  –  –
Summe Zulagen 175 € 360 €
Sparbeitrag 1.375 € 1.560 €
Steuerersparnis 189 € 53 €
Förderquote 26 % 26 %

Musterfall 2: 1.200 € Eigenbeitrag, verheiratet, zwei Kinder, Bruttoeinkommen: 45.000 € p.a.
Beide Vorsorgeformen profitieren stark von den Kinderzulagen, im Altersvorsorge-Depot fällt zusätzlich die höhere Grundzulage ins Gewicht. Dadurch liegt der Sparbeitrag im AV-Depot leicht über dem der Riester-Rente, ebenso die Förderquote. Riester bleibt weiterhin attraktiv, das AV-Depot erzielt in diesem Beispiel jedoch einen kleinen Fördervorsprung. Entscheidend ist hier vor allem die Kombination aus Kinderzulage und Grundzulage.

Riester AV-Depot
Eigenbeitrag 1.200 € 1.200 €
Grundzulage 175 € 360 €
Kinderzulage 600 € 600 €
Summe Zulagen 775 € 960 €
Sparbeitrag 1.975 € 2.160 €
Steuerersparnis
Förderquote 39 % 44 %

Musterfall 3: 120 € Eigenbeitrag, ledig, zwei Kinder, kein Bruttoeinkommen
Bei sehr niedrigem Eigenbeitrag zeigt die Riester-Rente ihre größte Stärke. Die staatlichen Zulagen übersteigen den Eigenbeitrag um ein Vielfaches, der Sparbeitrag wird fast vollständig aus Förderung gespeist. Die Förderquote liegt mit rund 87 Prozent deutlich über der des Altersvorsorge-Depots. In solchen Konstellationen ist Riester klar im Vorteil.

Riester AV-Depot
Eigenbeitrag 120 € 120 €
Grundzulage 175 € 36 €
Kinderzulage 600 € 60 €
Summe Zulagen 775 € 96 €
Sparbeitrag 895 € 216 €
Förderquote 87% 44%

Musterfall 4: 1.800 € Eigenbeitrag, ledig, keine Kinder, Bruttoeinkommen: 45.000 € p.a.
Bei hohem Eigenbeitrag und ohne Kinder verschiebt sich die Förderung weg von Zulagen hin zu steuerlichen Effekten. Das Altersvorsorge-Depot weist zwar höhere Zulagen auf, Riester kann diesen Vorteil jedoch durch eine deutlich höhere Steuerersparnis ausgleichen. In der Gesamtbetrachtung ergibt sich bei beiden Modellen eine vergleichbare Förderquote von rund 29 Prozent. Keines der beiden Modelle ist hier klar überlegen, jedoch gilt zu beachten, dass beim neuen Altersvorsorge-Depot deutlich mehr in die Altersversorgung gespart wird und nicht durch die Steuerrückzahlungen in den Geldbeutel der Sparer:innen

Riester AV-Depot
Eigenbeitrag 1.800 € 1.800 €
Grundzulage 175 € 480 €
Kinderzulage
Summe Zulagen 175 € 480 €
Sparbeitrag 1.975 € 2.280 €
Steuerersparnis 408 € 191 €
Förderquote 29 % 29 %

Bestandschutz

Bestandsverträge genießen Bestandsschutz:

  • Sie können mit der bisherigen Förderung weitergeführt werden.
  • Ein Wechsel in die neue Förderlogik ist per Erklärung gegenüber dem Anbieter möglich.
  • Eine förderunschädliche Übertragung auf ein neues Altersvorsorgeprodukt ist ebenfalls vorgesehen.
  • Für bestehende Verträge kann zudem auf die bislang verpflichtende Teilkapitalverrentung bei Auszahlungsplänen verzichtet werden, wenn sich beide Seiten einig sind.

Damit entfällt faktisch auch für bestehende Riester-Verträge die bisherige Verrentungspflicht. Ein „kostenloser“ Wechsel zu Rentenbeginn in die neu geschaffenen Auszahlprodukte eröffnet bisherigen Riester-Sparer:innen ganz neue Gestaltungsmöglichkeiten in der Leistungsphase.

Wer im kommenden Jahr (2026) in die Auszahlphase starten würde, sollte daher prüfen, ob es sinnvoll sein kann, den Beginn um ein Jahr zu verschieben, um von der zusätzlichen Flexibilität zu profitieren. Ebenso kann es im Einzelfall attraktiv sein, im Jahr 2026 noch einen Riester-Vertrag abzuschließen – sei es wegen der vergleichsweise vorteilhaften Alt-Riester-Förderung oder schlicht, um die Förderung für das Jahr 2026 überhaupt mitzunehmen.

Fazit: Mehr Rendite, mehr Klarheit – aber Beratung bleibt entscheidend

Mit dem Altersvorsorgedepot und der neuen Förderlogik unternimmt der Gesetzgeber den Versuch, die Lehren aus der Riester-Rente zu ziehen:

  • Weg von komplizierten Regeln und Garantiezwängen,
  • hin zu renditestarken, kostengünstigen und verständlicheren Produkten.

Vor allem Familien sowie Haushalte mit kleinen und mittleren Einkommen sollen von den hohen Förderquoten profitieren. Gleichzeitig schafft das Altersvorsorgedepot erstmals die Möglichkeit, ETF-basierte Anlagestrategien mit staatlicher Förderung zu kombinieren – allerdings bleibt der Zugang für Selbstständige weiterhin verwehrt.

Eines bleibt aber unverändert: Die richtige Lösung hängt von der individuellen Situation ab – Einkommen, Risikoprofil, Familienkonstellation, Laufzeit und Flexibilitätsbedarf. Die Reform schafft dafür einen moderneren Werkzeugkasten. Welche Werkzeuge daraus im Einzelfall wirklich passen, wird auch künftig eine gute Beratung zeigen müssen.